„Be a lady they said“, ein Gedicht von Camille Rainville ging durch ein Video der Schauspielerin und Politikerin Cynthia Nixon dieses Jahr viral. Frauenbilder werden in Frage gestellt – und damit auch unsere Gesellschaft selbst. Ich nehme das als junge Künstlerin und Feministin überall um mich herum wahr. Bildende Kunst, Fotografie, Literatur, Schauspiel, Musik und Medien: alle möchten zeitgemäß mitreden – ich natürlich auch – und initiieren einen Dialog zu einem Thema zwischen Stolz und Scham: Frau sein. Und somit auch gegen das Perioden-Tabu.
Perioden-Tabu: Rose als Symbol für Menstruation
Doch wie steht es um die klassische Musik? Das habe ich studiert und diesem Genre habe ich mich verschrieben. Doch transportiert mein klassisches Repertoire nicht ein bestimmtes Frauenbild, dem ich mich eigentlich entgegenstellen möchte? Wie stehen MusikerInnen heute dazu? Vor allem als Sängerin möchte ich eine Position finden, weil wir konkret mit vertontem Text arbeiten. Im klassischen Lied ist die Frau eine „Mädchenblume“, ein „der Rose gleiches“, märchenhaft schönes Mädchen: jungfräulich rein, brav, anständig und vor allem STILL. 3000 Jahre Patriarchat prägen dieses Bild des mundtot gemachten weiblichen Geschlechts. Und dabei ist die Rose ein Symbol für die Vulva oder gar die Menstruation. „I have my flower/ fleur“ bezieht sich immer noch direkt auf die monatlichen Blutung. Doch darüber wird eben nicht gesprochen. Weibliche Sexualität und besonders die Menstruation werden aus dem Bewusstsein verbannt. Wir benutzen diese wunderschönen Bilder weiter und programmieren die Information dahinter um.
Sexismus in der Klassik
In meinem Beruf habe ich es häufig mit Sexismus zu tun, mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und mit einem Mangel an Solidarität unter den Frauen, außer es geht um solidarisches Schweigen. Das ist die Klassik-Blase und wer nicht mitmachen möchte, muss eben gehen. Modern inszenieren, heißt hier noch den Bösewicht als Hitler zu verkleiden oder nackte Brüste und ein paar umgedrehte Kreuze zu zeigen, – und wem das zu extrem ist, der hört sich eben den 200. Liederabend zum Thema „Liebe und Liebeleien“ an. Ich fühle mich oft mundtot in diesem Geschäft.
Mit klassischer Musik gegen das Perioden-Tabu
Als Mara und ich vor ca. 1,5 Jahren anfingen, über dieses Konzept zu sprechen, begannen wir sofort mit dem Bild der Blume zu spielen. Die talentierte und gebildete Sängerin vertraute mir nämlich an, dass sie sich auf ihr ansprechendes Äußeres reduziert fühlt. Also stellten wir ein Repertoire zusammen, das genau das erzählt: Hauptsache eine junge Frau ist hübsch. Doch statt stillschweigend hübsch zu sein, spricht sie auch. Sie spricht über kleine Blutstropfen auf dem Fußboden, übers „geil“ werden, über die Mystik der Weiblichkeit und über die kreative Kraft, die in unserem Zyklus liegt.
Auf der Bühne ist sie aber nicht alleine, musikalisch und szenisch wird sie von einem Streichquartett, bestehend aus vier jungen Musikerinnen, begleitet. (Richtig, wir haben nur fünf Frauen auf der Bühne. Trotzdem finden wir nicht, dass Menstruation nur ein Frauenthema ist. Das siebte Mitglied unseres Teams ist ein Mann. Und der studierte Gynäkologe brennt genauso für das Thema wie wir. )
Ein Konzert über Menstruation und die Reaktionen
Als ich meiner Mutter vor über einem Jahr erzählt habe, dass ich ein Konzert zum Thema Menstruation mache, war ihre Antwort: „Oh bitte nicht“. Das war das Zeichen für mich, dass Redebedarf besteht. Ein Jahr später gab auch sie mir ein Interview. Es gibt einen Unterschied zwischen „nicht mit jedem darüber reden wollen“ und „nichts davon wissen wollen“. Jeder Mensch hat auf die eine oder andere Weise mit der Menstruation zu tun und doch kennt eine von fünf High School Schülerinnen keine drei Erwachsenen, an die sie sich mit einem Problem wenden kann. Das Perioden-Tabu sitzt tief.
Perioden-Tabu nur in anderen Ländern?
Wir alle haben schon „Horrorgeschichten“ aus „fernen“ Ländern und Kulturen gehört. Dort ist die „Menstruation“ tabu – aber bei uns doch nicht. Wir könnten hier gleich ein weiteres Thema hinzufügen: der „Kolonialismus“ in unserer erhabenen Kultur. Doch auch in unserer aufgeklärten, westlichen Welt gibt es sie, die Dinge, über die einfach nicht gesprochen wird und schockierende Geschichten von Mädchen, die mit Blut, hormonellem Chaos und Schmerzen hinter verschlossenen Badezimmertüren alleine gelassenen werden.
Bühne frei für Menstruation: Einblicke in das Konzert
Tamponwunderwelt als Konzertdesign
Ich bin Konzertdesignerin. In meinen Konzerten spielen alle Sinneswahrnehmungen eine Rolle. Ich mache mir auch solche Gedanken wie: Mit welcher Stimmung kommt der/die KonzertbesucherIn in den Konzertraum und wie sensibilisiere ich sie für meine Kunst? Wir machen also nicht schöne, klassische Musik und reden dazwischen über Menstruation. Es ist mehr: Das Publikum betritt eine Tamponwunderwelt. Der Raum wird 30 Minuten lang in einer Klang- und Rauminstallation zum Märchenland. Alles ist weiß, rein und augenscheinlich menstruationsfrei. Sonnenlicht glitzert in weißem Tüllstoff und aus jeder Ecke des Raumes dringen Fetzen von Tamponwerbung – „female Empowerment“?
Ein Chor gegen das Perioden-Tabu
Wenn das Saallicht ausgeht, beginnt die Menarche. Ich nenne diesen Konzertteil „Erblüht“. Zwischen den Stücken erzählen aber nicht nur die fünf Musikerinnen auf der Bühne schöne und erschreckende Geschichten rund um die erste Blutung. In elektronischen Soundscapes entsteht rund um das Publikum ein Chor der Menstruation, den ich aus verschiedenen Interviews gebaut habe. Meine Interviewpartnerinnen werden im Laufe des Konzertes immer wieder zu Wort kommen (Anmerkung der Redaktion: Auch Britta war eine der Interviewpartnerinnen für das Konzert). Außerdem nehmen wir uns die Zeit, ein wenig Menstruationsaufklärung zu betreiben. Wir sprechen also von liebevollen Eltern, Menstruationsbeschwerden und den großen Lügen unserer Gesellschaft.
Von Scham überspült und zum Tabu gemacht
Im zweiten Teil werden die fünf Musiker von Scham „überspült“. Wir stellen auf der Bühne die übergriffige Gesellschaft sowie das schamgebeugte Opfer dar. Und am Ende wird ersichtlich, dass das hier oft die gleichen Personen sind. Die vier Musikerinnen versuchen Mara zum Schweigen zu bringen, ihr Scham beizubringen und schreien ihr schließlich den Namen des Blockes entgegen: „Bedecke dich“. Im dritten Teil „Verblüht?“ wird es dann mystisch. Die Menstruation ist kulturgeschichtlich der Beginn allen Lebens, eine Quelle von Magie, Mystik, Verstand und Übersinnlichkeit. Doch die Bilder der Menstruation wurden verteufelt und je heiliger etwas im Matriarchat war, desto gefährlicher war es für das Patriarchat. Die heilige Menstruation „tapua“ wird also zum Tabu.
Das Kostüm als Herzstück
Der letzte Block ist mein Resümee. Ich kann mich als politische Aktivistin, mystische Göttin meiner eigenen Menstruation oder nur als Frau sehen, die sich mit sich selbst auskennt. Daraus resultiert eine stärkere Frau und letztendlich eine gesündere Gesellschaft. Lass dir von niemandem sagen, wie du zu sein hast. Statt eines „good girls“ sei ein „good to yourself girl“. Herzstück dieses Konzertes ist aber das Kostüm. Unsere Sängerin Mara betritt im Ballkleid und Glitzercape die Bühne. Doch im Laufe des Konzertes wird sie Stück für Stück ausgezogen, entblößt sich selbst und beginnt die Menstruation sichtbar werden zu lassen. Die vier Lagen des Kostüms haben wir gemeinsam mit einer Kostümschneiderin genau so designed, dass Mara nach und nach auf der Bühne „entbunden“ wird und im übertragenen Sinne die Fesseln der Gesellschaft ablegt. Die feengleiche Märchenprinzessin steht am Ende in Unterwäsche vor dem Publikum und verbirgt weder ihren Körper, noch ihre Menstruation.
Klassische Lieder, elektronische Kompositionen und Jazzelemente
Es gibt aber nicht nur klassische Lieder zu hören. Die Soundscapes entwickeln sich zu elektronischen Kompositionen und immer wieder tauchen in Improvisation und Werken von Magdiel Baptistin Vaillant Jazzelemente auf, um mit dem klassischen Repertoire zu brechen. Die Lichtstimmungen und die Positionen der Musiker im Raum unterstützen diese Stimmungswechsel zusätzlich.
Musik kann nicht ohne Kontext existieren
Am Ende haben wir nicht die EINE Lösung, aber Ideen, Gedanken und vor allem ein Gespräch über das Perioden-Tabu. Denn auch das klassische Musikbusiness hat die Aufgabe, Dinge in Frage zu stellen. Musik kann nicht ohne Kontext existieren. Denn KEINE Inszenierung ist auch eine Art von Inszenierung. Und auch, wenn das gerade in diesen Zeiten in Frage gestellt wird: genau deshalb ist Kunst systemrelevant. Jedes mal wenn wir als KünstlerIn auf die Bühne gehen, bekommen wir diese Bühne auch, um mit unserem Publikum zu kommunizieren. Bisher hatten wir allerdings noch nicht die Gelegenheit mit „dialogue with a rose“ auf die Bühne zu gehen. Coronabedingt sind hier schon zwei Versuche gescheitert. Doch Ende November durften wir im Finale des Konzertkonzeptwettbewerbes d-bue.de das Konzert filmen. Im nächsten Jahr wollen wir dann endlich live unser Menstruationskonzert präsentieren und bekommen hoffentlich die Gelegenheit, an unterschiedlichen Orten zu gastieren.
Klassische Musik zur Botschafterin gegen das Perioden-Tabu
Auf jeden Fall ist unser Team, bestehend aus dem Streichquartett (Laura Ion, Myriam Geßendorfer, Lilia Rubin, Kiara Konstantinou), der Sängerin (Mara Maria Möritz), dem Komponisten (Magdiel Baptistin Vaillant) und mir als künstlerische Leiterin Feuer und Flamme für unser erstes Menstruationskonzert, in dem klassische Musik zur Botschafterin einer neuen Frauenfigur und gegen das Perioden-Tabu wird.