Vaginismus ist eine sexuelle Funktionsstörung bzw. Schmerzstörung über die viel zu wenig gesprochen und aufgeklärt wird. Doch das möchte Leonie mit ihrem anonymen Instagram-Account ‚vaginismus.hilfe‘ ändern. Dort schreibt sie selbst “Moin, ich habe Vaginismus. Mein Leben, heilen und vögeln mit Beckenbodendysfunktion. I put the fun in sexual dysfunction”. In unserem Interview gibt uns Leonie Einblicke in ihr Leben mit Vaginismus. Danke liebe Leonie für deine wertvolle Aufklärungsarbeit und Offenheit rund um das Thema!
Wie verlief Deine Vaginismus-Geschichte?
Im Nachhinein ging es schon beim Tampons benutzen los. Ich bekam meine Periode recht früh und konnte aber keinen Tampon einführen. Den Eingang der Vagina konnte ich nicht finden und je mehr ich suchte desto unangenehmer wurde es. Aber einige meiner Freundinnen fanden Tampons auch unbequem – deshalb dachte ich mir erstmal nichts dabei. Später als ich dann mit meinem damaligen und ersten Freund mein „erstes Mal“ haben wollte, berührte sein Penis nur den Eingang meiner Vagina und es tat so sehr weh, dass nichts weiter ging. Auch damals dachte ich mir, dass es ja normal ist dass es wehtut und deshalb probierten wir es weiter, aber es wurde nicht besser – im Gegenteil.
Diagnose: Leben mit Vaginismus
Ich googelte dann viel und fand aber lange nichts bis ich schließlich das erste Mal von Vaginismus las und mich zum ersten Mal gesehen fühlte. Bis dahin dachte ich nämlich, ich sei der einzige Freak auf der ganzen Welt mit diesem äußerst peinlichen Problem. Die Diagnose bestätigte später auch nochmal ein Arzt.
Wie sind deine Erfahrungen mit Ärzt*innen?
Die erste Gynäkologin zu der ich mit meinem Problem ging, ohne damals den Namen Vaginismus zu kennen, kannte sich leider nicht aus. Als ich breitbeinig auf dem Stuhl saß, befand sie „Sie müssen sich jetzt mal entspannen, so kann ich sie ja gar nicht untersuchen und da müssen Sie sich auch nicht wundern, dass da kein Penis reingeht.“ Abschließend bekam ich den Tipp, mal mit Gleitgel einen Mini-Tampon einzuführen. Das war gar nicht mal der blödeste Ratschlag im Vergleich zu Dingen, die andere Betroffene von Ärtz:innen hören – wie zum Beispiel „trinken Sie mal ein Glas Wein“. Trotzdem hat mich ihre schroffe Art und ihr Unverständnis so fertig gemacht, dass ich ganz lange mein Problem einfach verdrängt habe.
Auch der Spezialist konnte nicht weiterhelfen
Später habe ich dann einen angeblichen Spezialisten ausfindig gemacht. Er hat mir einige Cremes verschrieben und einen Ballon, den man sich einführt und aufpumpt – eigentlich für Schwangere zur Geburtsvorbereitung gedacht. Damals bekam ich noch nicht mal einen kleinen Finger in meine Vagina. Seine Behandlungsmethode hat also nicht gefruchtet, er konnte mir aber auch keine Alternative anbieten.
Welche Symptome hast du?
Das Einführen von etwas in meine Vagina geht in den meisten Fällen gar nicht oder nur unter starken Schmerzen. Penetrativer Sex ist nach wie vor nicht möglich, von Spekula beim Gyn halte ich mich fern und an Tampons denke ich auch noch nicht. Aber ich habe auch schon Fortschritte gemacht und kann mittlerweile den dritten von fünf Dilatoren einführen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten hast du schon ausprobiert?
Mir helfen Dilatoren, Physiotherapie und Psychotherapie. Dilatoren sind nach Größe gestaffelte Dildos, die man selbst einführt und somit übt, die Vagina an eine schmerzfreie Penetration zu gewöhnen. Das kann man auch Circlusion nennen, was mir als Begriff noch besser gefällt, weil man damit das aktive Umschließen bzw. Aufnehmen der Vagina in den Fokus stellt, anstelle des Passiven. Bei den Dilatoren ist hilfreich, einen Spiegel zu benutzen, um den Eingang der Vagina zu sehen, und es mit entspannenden Dingen zu verbinden wie zum Beispiel Meditation, einem heißen Bad oder Selbstbefriedigung. Dann arbeitet man sich langsam zu nächsten Größe vor, was aber niemals weh tun sollte, weil man den Schmerzkreislauf durchbrechen möchte. Beim Vaginismus hat sich im Körper eine Verbindung von Penetration=Schmerzen festgesetzt. Indem man immer öfter eine schmerzfreie Penetration erlebt, überschreibt man diese Verbindung im Schmerzgedächtnis.
Leben mit Vaginismus: Dilatoren, Physiotherapie & Psychotherapie
Außerdem hilft es mir, in der Physiotherapie zu lernen, wie der Beckenboden funktioniert und wie man ihn entspannen kann. In der Psychotherapie rede ich über die mentale Seite, also die Auswirkungen auf meine Psyche und auch über mögliche Auslöser.
Wie hat sich dein Leben verändert, seitdem du weißt, dass du Vaginismus hast?
Ich war total erleichtert, herauszufinden, dass es einen Namen für diese merkwürdigen und furchtbaren Schmerzen gibt. Von da an konnte ich nach Hilfe suchen und habe auch einige Dinge gefunden, mit denen ich jetzt Fortschritte mache.
Mein Freund, meine Mutter und einige sehr gute Freundinnen wissen davon. Ansonsten halte ich mich bedeckt. Zum einen, weil ich mit anderen Leuten auch nicht unbedingt über Sex allgemein rede, aber auch weil es noch sehr stigmatisiert ist.
Wie beeinflusst dein Leben mit Vaginismus deinen Alltag?
Ich war schon sehr lange nicht mehr bei einer Gynäkologin, weil ich schlechte Erfahrungen gemacht habe und bis jetzt auch kein Spekulum an mich heranlasse. Ansonsten kann ich nach wie vor keinen penetrierenden Sex haben und finde daher andere Wege, mit meinem Freund Spaß zu haben. Das hat aber auch seine guten Seiten. Ich habe gelernt, Grenzen zu kommunizieren und kreativ zu werden. Meine Therapeutin sagte dazu mal „Menschen mit sexuellen Dysfunktionen sind besser im Bett“.
Wie ist es zu deinem Instagram-Account gekommen?
Ich habe das meiste von anderen Betroffenen gelernt über eine englischsprachige Facebook-Gruppe. Leider gibt es nur sehr wenige deutschsprachige Informationsquellen. Deshalb habe ich das irgendwann selbst in die Hand genommen. Ich kann zwar niemandem den Königinnenweg der Heilung zeigen (den gibt es auch nicht), aber ich kann zeigen, wie es sich für mich anfühlt und dass niemand damit alleine ist.
Hast du Tipps, wie das soziale Umfeld bei Vaginismus helfen können?
Am besten einfach erstmal zuhören und keine Tipps geben. Wenn man lieben Menschen von einem Problem erzählt, ist oft der erste Impuls eine Lösung zu finden. Beim Leben mit Vaginismus ist das aber sehr schwierig und auch individuell. Mir hat mal eine liebe Freundin geraten, es trotzdem mal zu versuchen auch wenn es wehtut. Das ist bei Vaginismus aber total kontraproduktiv – obwohl ich weiß, dass sie es sehr lieb gemeint hat und mir helfen wollte. Deshalb ist besser, die Person zu fragen was sie braucht und zum Beispiel anzubieten, zu einem ärztlichen Termin mit zu kommen.
Reden über das Leben mit Vaginismus
Und was ich noch super finde, ist zu sagen, dass man gerne auch sonst darüber reden und schreiben kann. Die meisten Betroffenen reden mit nur sehr wenigen Menschen über ihren Vaginismus und deshalb ist es gut, jemanden zum Anlehnen zu haben. Oder zu wissen, dieser Person kann ich schreiben, wenn ich eine neue Dilatorgröße geschafft habe und sie wird das nicht merkwürdig finden, sondern mich dafür feiern.